Verkehrswende in Nordfriesland
Von Marc Nasner | 18.12.2022, Husumer Nachrichten, Inselbote, Nordfriesland Tageblatt, Sylter Rundschau
Die Alternative zum Mama-Taxi
Der Kreis Nordfriesland testet ein neues Rufbuskonzept, mit dem individuell zugeschnittene Fahrtangebote gemacht werden können. Mit dabei: eine App und virtuelle Haltestellen. So funktioniert es:
Das Konzept ist gut – da ist sich Uwe Schwalm sicher. „Wir müssen die Verkehrswende schaffen“, sagt der Grünen-Politiker und 3. stellvertretende Landrat. Mit einem neuen Rufbus-Konzept für den Kreis Nordfriesland möchte er nachhaltige Mobilität ankurbeln. Im Zentrum stehen die App des Unternehmens „ioki“ und virtuelle Haltestellen. „Wirklich nachhaltig sind solche Angebote nämlich nur, wenn sie auf die Nutzer zugeschnitten sind“, merkt er an. Der Kreistag hat nun beschlossen, das Angebot in einem Pilotprojekt ab April rund um Bredstedt zu testen.
Mit der geplanten App soll der Rufbus für junge Menschen attraktiver werden. Zwar würden Jugendliche das Angebot schon jetzt nutzen, etwa um zum Sport zu fahren, dennoch erhofft sich Uwe Schwalm noch Zuwachs. „So könnte sicherlich die ein oder andere Fahrt vom Mama-Taxi eingespart werden“, ist er sich sicher. Ein Algorithmus solle dann auch die kürzeste, umweltfreundliche Route mit allen Fahrgästen erstellen. Dafür sei es nötig, den Rufbus mit 90 Minuten Vorlauf zu buchen. [Korrektur: Der letzte Satz trifft nicht zu – der Algorithmus braucht die 90 Minuten nicht, er kann das schneller – die Vorlaufzeit fällt weg. U. S.]
Virtuelle Haltestellen lange nicht möglich
Teil der App ist auch die Idee von virtuellen Haltestellen. Wie Schwalm erklärt, sei es rechtlich lange Zeit nicht möglich gewesen, außerhalb von Bushaltestellen anzuhalten. „Wenn da kein Mast mit Haltestellenschild stand, konnte der Busfahrer nichts machen“, sagt er. Im Schadensfall hätte dann die Versicherung nicht gegriffen. Mit der Gesetzesänderung aber sieht er nun die Möglichkeit, für den Rufbus virtuelle Haltestellen einzurichten. In der App sollen dann im Abstand von 100 oder 200 Metern Punkte markiert werden, an denen sich Fahrgäste abliefern lassen können. Er hoffe, dass lokale Unternehmen sich beteiligen und gegen ein kleines Sponsoring virtuelle Haltestellen an den Geschäften entstehen könnten.
Absagen sollen verhindert werden
In der Region um Süderbrarup (Schleswig-Flensburg) und auch in Rendsburg finden ähnliche Konzepte bereits großen Zuspruch. „Daher bin ich nach Süderbrarup gefahren und habe mir das vor Ort angeguckt“, berichtet Schwalm. Aktuell sei die Nachfrage dort mit einem Spitzenwert von 380 Fahrgästen am Tag so groß, dass gar nicht alle Fahrtwünsche berücksichtigt werden könnten. Das möchte Schwalm für den Kreis Nordfriesland verhindern: „Daher planen wir, drei Busse während des Pilotprojekts einzusetzen.“
Seitdem auf Eiderstedt der Rufbus im Jahr 2018 eingeführt wurde, sei das Interesse an dem Angebot beständig gestiegen, sagt Schwalm. Im Kreis seien in Husum, Bredstedt, Niebüll und auf Eiderstedt die Menschen aufgeschlossen. „Auf dem platten Land kennen aber viele den Rufbus noch gar nicht“, merkt er an. Dabei sei der Rufbus mit einem Ticketpreis von 2,40 Euro attraktiv.
Angebot in kleineren Dörfern unbekannt
Mittlerweile würden auf Eiderstedt sogar deutlich mehr Menschen mit dem Rufbus fahren als in Husum und Bredstedt. Ein Musiker-Kollege Schwalms, der aus Polen stammt und Russisch spricht, arbeitet für das Busunternehmen. Durch Mundpropaganda seien viele ukrainische Geflüchtete auf das Angebot aufmerksam geworden. „Die Tour nach Tönning wird besonders häufig von Ukrainern gebucht, da sich dort das Sozialamt und die Tafeln befinden“, erklärt Schwalm. Nur an einem Punkt hakt die Idee noch: „Mir ist bisher kein passender Name eingefallen. Da nehme ich gerne Vorschläge entgegen.“
In den Kreisen SL/FL und RD/ECK wird im nächsten Jahr der Rufbus-On demand-Verkehr flächendeckend und Rund-um-die-Uhr ausgerollt. Das fördert der Bund mit 30 Mio und das Land mit zusätzlich 7 Mio Euro:
Die Schleiregion wird zum Vorreiter der Mobilitätswende
Presseinformation Nr. 293.22 / 13.12.2022 Grüne Fraktion Landtag SH
Zur Förderung der Schleiregion im Rahmen des Pilotprojekts Mobilitätsgarantie sagt die mobilitätspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Nelly Waldeck:
Wir setzen den Startschuss für eines unserer größten Mobilitätsvorhaben aus dem Koalitionsvertrag, der Mobilitätsgarantie. Die Schleiregion wird damit zum Vorreiter der Mobilitätswende. Wir wollen Mobilität an den Nutzer*innen orientieren und ihnen ein regelmäßiges, öffentliches Mobilitätsangebot an jedem Ort Schleswig-Holsteins ermöglichen. Das Vorhaben soll in der Modellregion auf seine Wirkung untersucht und optimiert werden, um es anschließend auszuweiten.
Ich freue mich, dass wir dieses wichtige Vorhaben so früh in die Umsetzung bringen. Die überwiegend ländlich geprägte Struktur Schleswig-Holsteins findet in der Modellregion der Schlei Beachtung. Nur so lässt sich das Konzept auch auf ganz Schleswig-Holstein übertragen.
Claudia Jacob Pressesprecherin
Öffentlicher Nahverkehr für alle: Pilotprojekt kommt in den Norden (Husumer Nachrichten 13.12.22)
Nahverkehr für alle zu bezahlbaren Preisen – und das rund um die Uhr: Im Januar startet ein zweijähriges landesweit einmaliges Pilotprojekt in der Schleiregion, das der Bund mit 30 und das Land mit sieben Millionen Euro fördert. „Damit soll im ländlichen Raum jeder Einheimische und Tourist zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne eigenes Auto barrierefrei, garantiert und nachhaltig mobil sein können“, sagt Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (parteilos). „Wir wollen ein Rundum-Sorglos-Paket, das auch auf andere Regionen übertragbar ist.“Kernstück des Projekts mit dem Titel „Smile 24“, in das die Kreise Schleswig-Flensburg und Rendsburg-Eckernförde eingebunden sind, ist der Aufbau eines flächendeckenden On-Demand-Verkehrs. Das bedeutet, dass jeder in der Region über eine App ein Fahrzeug buchen kann, das ihn an sein Ziel bringt. „Das soll spätestens im Sommer flächendeckend in der Region möglich sein“, sagt Madsen. Außerdem sollen die Buslinien von Schleswig nach Port Olpenitz, von Eckernförde nach Kappeln sowie von Schleswig nach Eckernförde ausgebaut und in der Hochsaison um zwei Expressbuslinien ergänzt werden. Die Busflotte soll komplett elektrisch fahren.Damit den Menschen das Umsteigen erleichtert wird, sollen zusätzlich 13 Carsharing- und 18 Bikesharing-Stationen eingerichtet werden. Die Reisenden sollen für das Angebot nur den Schleswig-Holstein-Tarif zahlen. „So wollen wir auch möglichst viele Touristen, von denen die allermeisten noch immer das eigene Auto nutzen, für den Nahverkehr begeistern“, so Madsen. Das Projekt sei extra in einer touristisch attraktiven Region angesiedelt worden, in der bislang nur wenige Leute den Nahverkehr nutzen. Nun sollen sie per App genau sehen können, wie sie von jedem Punkt in der Region zu einem anderen kommen – und die Route auch gleich digital buchen können. Wer kein Smartphone hat, soll via Telefonhotline und an speziellen Verkaufsstellen Infos bekommen und Tickets kaufen können. „Klimaneutral mobil – auch ohne Auto – auch im ländlichen Raum, das ist das Motto des Projekts“, sagt Madsen, der das am liebsten auf ganz Schleswig-Holstein ausweiten würde. „Wir wollen eine Vernetzung aller Verkehrsträger und Mobilitätsinfrastrukturen erreichen, die in ihrer Vollständigkeit nach unserer Kenntnis deutschlandweit im ländlichen Raum so noch nicht vorhanden ist.“
…………………………… und auch im Kreis Dithmarschen ist für 2023 ein Pilotprojekt um Wesselburen herum geplant (angrenzend an das Eidersperrwerk), das dann 2024 auf das Amt Eider (um Lunden herum) ausgedehnt werden soll. Beide Gebiete liegen direkt an der Kreisgrenze zu Nordfriesland.
…………………………. und wir in Nordfriesland sind mit unserem Pilotprojekt im Netz Mitte um Bredstedt herum [Neuer Rufbus mit Buchung über App oder Telefon, quasi einer Haustürbedienung durch virtuelle Haltestellen, Bedienzeiten werktags von 5 – 21 Uhr – samstags und sonntags morgens etwas später – und GPS zur Ortung des bestellten Fahrzeugs] ganz vorne mit dabei :).